Quiltgallery

Dr. Brigitte Tietzel: Es ist viel (alles?) über die Amish und ihre besondere Form der textilen Gestaltung, eben die Quilts, geschrieben worden. Sie, liebe Frau Willi, hatten Bedenken, sich in einem Textbeitrag zum Katalog zu wiederholen. Dennoch sei die Frage erlaubt, was für Sie der persönliche Grund Ihrer Hinwendung zu den Amish Quilts gewesen ist.

Monika Willi: Ja, es ist so manches darüber geschrieben worden. Als Nichtangehörige dieser religiösen Gemeinschaft ist es nur schwer möglich, ein authentisches Bild über die Amischen und ihre Quilts abzugeben. Und die Herstellerinnen selbst haben sich in der Vergangenheit wenig darüber geäussert.
Diese Quilts haben mich von Anfang an sehr «hautnah» berührt: durch ihre schlichte Schönheit, durch unerwartete Farbklänge - gewisse Stücke klingen für mich wie Musik. Auch die äusserst gepflegte Stepparbeit, die besonders in der feinen Wolle der Lancaster County Quilts bezaubernd wirkt, haben mich begeistert. Solche beinah zeitlosen Stücke haben eine starke Ausstrahlung!
Der Auslöser zum Sammeln war die Ästhetik, danach kam bald das Interesse an den Amischen als Gemeinschaft – über die ich vor 1972 nichts wusste, obwohl sie ursprünglich aus der Schweiz stammen.


BT: Seit wann sammeln Sie Amish Quilts? Sind Sie überhaupt eine Sammlerin, haben Sie andere Dinge gesammelt? Sammeln Sie heute noch? Warum sammelt man überhaupt? Wenn Sie nichts anderes als die Amish Quilts gesammelt haben, was ist für Sie das Besondere an den Amish Quilts?


MW: Ich begann 1973 zu sammeln. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie etwas systematisch zusammengetragen. Warum ich überhaupt damit begonnen habe, ist eher intuitiver Natur: diese Quilts wirkten auf mich wie «Augenwärmer». In ihnen steckt oft etwas sehr Geheimnisvolles – obwohl sie als Gebrauchsgegenstand entstanden sind. Durch die Entfremdung mit der Hängung an der Wand beginnt das Objekt zu leben. Es wirkt auf einer anderen Ebene wie ein Bild, das je nach Muster und Farbkombinationen, äusserst beruhigend oder auch sehr stimulierend wirken kann. Damals las ich mit grossem Interesse Jonathan Holsteins "Abstract Design in American Quilts" und John Hostetlers "Amish Society". Ich beschloss schon früh, mich auf die amischen Quilts zu konzentrieren.


BT: Die Amish Quilts zeichnen sich durch ganz bestimmte, sich immer wiederholende Muster und ungewöhnliche, teils ruhige, teils kühne Farbkombinationen aus. Gibt es bestimmte Motive, die Sie bevorzugen? Warum?

MW: Meine Vorliebe gilt eher den klassischen Quilts aus Lancaster County, Pennsylvania, mit ihren strengen, grossflächigen Kompositionen wie z.B. Bars oder Diamond in the Square, aber auch Sunshine and Shadow oder Nine-Patch mit ihrem Variationsreichtum gefallen mit sehr gut. Sobald die Muster zu stark von der "Aussenwelt" beeinflusst werden, oder die Farben sehr schreiend aufeinander wirken (wegen der synthetischen Stoffe), verlieren sie für mein Empfinden ihren ureigenen Charakter…


BT: Und es gibt Geschichten hinter den Stücken. Erfährt man überhaupt etwas von den Geschichten, wenn man sammelt? Wären diese wichtig für Sie?

MW: Als ich zu sammeln begann, erfuhr ich leider nichts von den Geschichten die dahinter stecken: erst in den 80er Jahren kümmerten sich Quiltkenner und Händler in den USA vermehrt um diese Frage, wenn sie in Familienbeständen etwas aufstöbern konnten. Natürlich wäre es für mich spannend, etwas zu wissen über die Frau, die z.B. den aussergewöhnlichen Babyblocks genäht hat, mit seinen vielen Facetten: die optische Illusion durch das Würfelmotiv, die Treppenperspektive, die beiden hellen Diagonalen und sehr intensive Farben. Woher hatte sie die kleinen Teile aus rotem, bemustertem Stoff – bedruckte Stoffe dürfen die Amischen grundsätzlich gar nicht tragen!


BT: 1988 haben Sie mit anderen Sammlern zusammen im Musée des arts décoratifs de la Ville de Lausanne Ihre Quilts ausgestellt. Damals verwies Rosmarie Lippuner in ihrem Vorwort zum Katalog darauf, dass 1971 das Whitney Museum in New York als erstes eine Ausstellung mit Amish Quilts zeigte, die damals weniger als kulturhistorische Zeugen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, denn als Beispiel ausdrucksstarker, moderner, abstrakter Kunst begriffen wurden und dann geradezu einen Boom auslösten.
War dieser Ansatz auch für Sie entscheidend, Amish Quilts zu sammeln?

MW: Ja! Ich sah bereits 1972 im Musée des arts décoratifs in Lausanne die Sammlung von Jonathan Holstein und Gail van der Hoof; darunter gab es auch wenige amische Quilts. Ein Stück hat mich damals so tief beeindruckt, dass ich Gänsehaut bekam…es war ein Bars, also ein Streifenmuster mit rostroten und kiwigrünen Streifen und magentafarbener Rahmung. Diese extrem schlichte Komposition beeindruckte mich einerseits durch ihre Monumentalität und dazu wirkte die Farbwahl auf mich geradezu mystisch.
Ich sammelte zwischen 1973 und 1975 sehr intensiv auf zwei Reisen in den USA – es war berauschend! Schon kurz danach stellte das Musée d’Art et d’Histoire in Genf einen Teil meiner Sammlung unter dem Titel: "Amish Quilts 1870-1920" Collection Monika Müller Zurich (heute Sammlung Monika Willi Zürich) aus. Es war die erste Ausstellung ausschliesslich amischer "Bettdecken" in einem Kunstmuseum in der Schweiz! Das Publikum war begeistert von den 23 Exponaten.

BT: Diese Annäherung an die Amish Quilts ist ja sehr populär. Im vergangenen Jahr fand in der Münchener Pinakothek der Moderne eine Quilt-Ausstellung statt, die nicht von uns in Krefeld übernommen werden konnte, weil die Sammlerin meines Erachtens die Auffassung vertritt, dass der textile Aspekt den Wert der Kunstwerke vermindere. Maria Schlumberger und Friedrich E. Rentschler sehen die Quilts als reinen Kunstausdruck. Macht das Sinn? Sehen Sie das auch so?

MW: Nach all dem, was seit 1971 in den USA darüber geschrieben und durch Ausstellungen propagiert wurde, kann man dieser Auffassung sein. Ich hingegen als Sammlerin frage mich, ob Sie mit dem Wort "Wertverminderung" den künstlerischen Wert oder den Handelswert meinen, oder beides. Für mich gibt es eine ganze Reihe von Aspekten die mich an diesen Werken interessieren: künstlerische, volkskundliche, praktische und mystische. Die Quilts gehören traditionell zur angewandten Kunst. So absolut wie die beiden von Ihnen erwähnten Sammler urteilen, sehe ich es keinesfalls. Aber es gehört zum Trend, die Werke seit 30 Jahren so zu betrachten.


BT: Meines Erachtens geht eine solche Einschätzung völlig an den Intentionen der Amish vorbei. Kunst zu schaffen, vor allem Kunst um der Kunst willen (l’art pour l’art) lag niemals in der Absicht der Amish. Das hätten sie als weltlich verworfen und sahen es im Grunde als Zeitverschwendung an.

MW: Ja, das stimmt…allerdings war der Quilt der einzige Gegenstand mit dem die Amischen innerhalb des Erlaubten etwas Dekoratives in ihre Häuser integrieren konnten. Und so kunstvoll und diszipliniert wie diese Frauen diese Decken realisiert haben, kann man ahnen, dass ihnen diese Tätigkeit doch sehr viel bedeutet hat.

BT: Kann man trotzdem diese Textilien aus ihrem Zusammenhang reissen und uminterpretieren? Sozusagen losgelöst von ihrem Entstehungszusammenhang als eigenständige Ausdrucksform betrachten?

MW: Für mich geht dadurch etwas verloren, das von grosser Bedeutung ist und unsere Faszination ausmacht, nämlich, dass diese Quilts in einem besonderen Kontext – religiös und gemeinschaftlich – entstanden sind. Deshalb empfinden wir ja auch etwas Besonderes angesichts dieser Werke…

BT: Man hat die Modernität, die Abstraktion, die rigorose Geometrie, die Vereinfachung der Formen, die kühnen Farbkompositionen der Amish Quilts gelobt und behauptet, sie gingen hierin der modernen Kunst voran. Kann man das wirklich so sehen? Wären die Quilts also rein formal zu betrachten?

MW: Durch die strengen Regeln ihrer "Ordnung" unterscheiden sich die Quilts der Amischen von denen anderer Pioniersfrauen im Amerika des 19. Jahrhunderts. Hier sehe ich eher eine Parallele zur religiösen islamischen Kunst mit ihrer ebenfalls nichtfigürlichen Darstellungsweise denn zur Moderne. Diese Quilts sind in erster Linie das Resultat einer religiös geprägten Gesellschaft,  die sehr verbunden ist mit ihren Traditionen. Schlichtheit wird vorgeschrieben und Begrenzung in der Auswahl von Mustern und Farben ist angesagt – allerdings ändern sich die Regeln von Gemeinde zu Gemeinde.


BT: Frau Lippuner meint, nicht die reine Ästhetik, sondern der Ausdruck des geistigen Klimas, in dem diese Textilien entstanden sind, sei wichtig, das «Ernsthaftigkeit» bei der Betrachtung der Stücke und eine «stille Freude» daran erlaube. Wie sehen Sie das?

MW: Ja, das empfinde ich auch so. Die Ausstrahlung der amischen Quilts ist einmalig. Ich möchte mich dabei einem Händler aus New York anschliessen, der in den 1970er Jahren meinte: "…es ist als wären sie bei Mondlicht entstanden."

 

Das Interview mit der Sammlerin Monika Willi, Zürich, führte die Direktorin des Deutschen Textilmuseums, Brigitte Tietzel.

Zurück zur Website quiltgallery

 
Made by ProjectOne